Biographie in Büchern

Ich bin neudeutsch ein Bookster oder altdeutsch ein Bücherwurm, also jemand, schon immer gerne und viel gelesen hat. Und weil wir uns eigentlich so gut wie nie von Büchern trennen, haben sich bei uns zuhause über die Jahre richtig viele davon angesammelt. Deswegen hat mir eine Anfrage der WELT AM SONNTAG echtes Kopfzerbrechen bereitet: Für die Reihe „Biographie in Büchern“ sollte ich doch bitteschön einmal neun Bücher benennen, die mir wichtig sind, warum auch immer. Das Ergebnis könnt Ihr in der Ausgabe vom 6. Februar lesen, aber hier ist so etwas wie die Kurzfassung, schön eingeteilt in Rubriken:

Kinder- und Jugendliteratur: J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe
Nein, nicht der Film, sondern drei dicke Bände, die ich mit vierzehn oder fünfzehn Jahren in ungefähr einer Woche geradezu gefressen habe. So sehr haben mich damals die Abenteuer von Frodo und den anderen Hobbits in ihrem Kampf gegen das Böse fasziniert. Die Leselust war damals vielleicht sogar in der Nähe zur Lesesucht, aber es ist bis heute jedes Mal für mich eine tolle Erfahrung, wenn Erzählungen mich in ihren Bann schlagen können. Besser als jedes bewegte Bild!

Krimis: Maj Sjöwall/ Per Wahlöö, Die Tote im Götakanal
Krimis habe ich auch immer gemocht, beginnend mit Erich Kästners „Emil und die Detektive“. Da gibt es gute und weniger gute Beispiele, aber Sjöwall/ Wahlöö stehen für mich über allem. Die beiden sind so etwas wie die Eltern der skandinavischen Krimi-Tradition und verbinden spannende Kriminalfälle mit einem wenig schmeichelhaften Blick auf die schwedische Gesellschaft der 1970er Jahre. Nach nur zehn Bänden war leider Schluss, aber die Lektüre ist bis heute schwer zu empfehlen.

Klassiker: Johann Wolfgang v. Goethe, Faust I
Klar, kennen fast alle aus der Schulzeit, sooon Bart – aber ist brandaktuell, wenn man‘s recht bedenkt. Denn worum geht es eigentlich? Faust hat alle Möglichkeiten seiner mittelalterlichen Zeit, aber ist trotzdem tief unzufrieden und auch der Suche nach dem ultimativen Kick, wie wir heute vielleicht sagen würden. Das ist etwas, was uns in unserer modernen Gesellschaft ziemlich bekannt vorkommt und führt zu vielen Grundsatzfragen. Klassik hin, Klassik her – der „Faust“ ist einfach großartig!

Deutsche Nachkriegsliteratur: Siegfried Lenz, Deutschstunde
Auch die „Deutschstunde“ kennen viele aus dem Deutschunterricht und zwar mit vollem Recht. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den Folgen für die Gesellschaft war in meiner Jugend ein Topthema, denn unsere Eltern waren die jungen Leute aus der Nazi-Zeit und durch diese Zeit geprägt. Das war das Topthema der deutschen Literatur, für die damals Namen wie Grass, Böll und Lenz standen. Die Deutschstunde habe ich vor ein paar Monaten noch einmal gelesen und war echt beeindruckt. Ein Meisterwerk.

Deutsche Gegenwartsliteratur: Juli Zeh, Unterleuten
Die Deutsche Einheit ist eine Zäsur, wobei die literarische Aufarbeitung ja noch längst nicht abgeschlossen ist. Wie sollte das auch möglich sein, wenn Ost und West auch dreißig Jahre später noch so vieles trennt. Das genau zeigt Juli Zeh am Beispiel eines Dorfes in Brandenburg, wo ein Windpark gebaut werden soll, ebenso unterhaltsam wie eindrucksvoll auf. Und irgendwie wüsste man hinterher gerne, wie es mit diesem Dorf weitergeht.

Geschichte: Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit
Siebzigtausend Jahre des homo sapiens auf fünfhundert Seiten hochinteressant, gut lesbar und sogar unterhaltsam zusammenzufassen, ist eine gigantische Leistung, finde ich. Nach der Lektüre war ich jedenfalls um einiges schlauer, vor allem um eine wesentliche Erkenntnis: Wahrscheinlich hat noch keine Generation so grundlegende Veränderungen in so kurzer Zeit erlebt wie unsere. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und manches mehr lassen grüßen. Kein Wunder, dass sich viele von uns davon bewusst oder unbewusst überfordert fühlen. Das erklärt auch manches, was wir derzeit erleben, scheint mir.

Zeitgeschichte: George Packer, Die Abwicklung – Eine innere Geschichte des neuen Amerika
Apropos Veränderungen: Was ist denn bloß in den USA los, fragen sich viele angesichts einer unübersehbaren Bedrohung der amerikanischen Demokratie. Die Antwort besteht mindestens zu einem guten Teil in einem Rückblick auf das, was viele Amerikanerinnen und Amerikaner in den letzten vierzig Jahren erlebt haben. Anhand von einzelnen Biographien zeigt der Journalist George Packer, das vor allem auch die amerikanische Mittelschicht von einer Krise nach der anderen durchgeschüttelt worden ist. Sehr spannend zu lesen!

Und ganz aktuell: Albert Camus, Die Pest
Aktuell? Das Buch ist ungefähr siebzig Jahre alt und sollte eine Parabel auf den Krieg und seine Auswirkungen auf eine Gesellschaft sein. Aber mit Corona geht es auf einmal auch um die Gegenwart, denn wie Menschen auf eine ernste, aber unsichtbare Bedrohung reagieren, folgt offenbar immer denselben Mustern, wie Camus in seinem Roman zeigt. Ich habe jedenfalls eine Menge gelernt.

Ein Lieblingsbuch: Christoph Ransmayr, Der fliegende Berg
Ich habe ziemlich viele Lieblingsbücher, sie wechseln sich halt ab und manchmal geraten sie irgendwann auch in Vergessenheit. Den „Fliegenden Berg“ habe ich vor ein paar Jahren gelesen und bin bis heute davon fasziniert. Ein im besten Sinne eigen-artiges Buch mit einer streng rhythmisierten Sprache, eine Art Lang-Gedicht oder Epos, das die Suche von zwei irischen Brüdern nach einem unentdeckten Berg im Himalaya beschreibt. Vor allem aber die Naturbeschreibungen und die Darstellung der Menschen, die unter diesen extremen Bedingungen leben, sind einfach wunderbar.

So weit meine Auswahl, vielleicht ist ja das eine oder andere auch für Euch interessant. Und umgekehrt: Ich freue mich über jeden Lese-Tipp, immer her damit!

Ich wünsche Euch eine gute Woche.